Detailfrage 2: Wie lange sind Abgeordnete im Schnitt schon im Bundestag, bevor sie am Beginn der jeweiligen Wahlperiode ihr Amt antreten?

Ich habe hier mal die Anzahl der Jahre geplottet, die ein Abgeordneter durchschnittlich schon Abgeordneter war, bevor er in einer Wahlperiode seinen Sitz erhalten hat. Mit verblüffenden Ergebnissen:

Die Entwicklung läuft bei nahezu allen Parteien fast parallel: es gibt einen steilen Anstieg in den ersten 3 Wahlperioden, die eine Partei im Bundestag vertreten ist. Dann tritt eine Sättigung bei einem Wert von etwa 8 Jahren ein.

Sind die Abgeordneten der großen Parteien tatsächlich im Schnitt schon 8 bis 10 Jahre im Amt bevor die jeweilige Legislaturperiode beginnt? Das hieße ja, dass eine Verbleibedauer im Bundestag von 12 bis 14 Jahren üblich und von 20 Jahren zumindest noch denkbar ist. Für jemanden, der in einem Bereich arbeitet, in dem generell die ungeschriebene Regel gilt, dass man alle ca 5 Jahre die Firma wechseln sollte, um sich fachlich, technologisch und auch menschlich weiterzuentwickeln, ist das zumindest unerwartet.

Jeder weiß, dass man nach einer langen Zeit im gleichen Arbeitskontext gegenüber Problemen und immer wieder auftauchenden Schwachstellen im Workflow abstumpft und betriebsblind wird. Deshalb ist es sowohl für eine Firma wichtig, regelmäßig junge (oder zumindest: neue) Leute zu rekrutieren, aber auch einem Mitarbeiter tut es gut, durch einen Wechsel des Arbeitgebers regelmäßig einen Perspektivwechsel zu erfahren. Hier scheint aber genau das nicht der Fall zu sein. Wenn ein Abgeordneter 15 Jahre oder mehr im Parlament sitzt, kann man davon ausgehen, dass er nicht mehr die geistige Flexibilität hat, Prozesse, Kommunikationswege oder ungeschriebene Gesetzmäßigkeiten ganz grundsätzlich zu hinterfragen, oder mit einem frischen Blick aus einer anderen beruflichen Perspektive die Arbeit im Bundestag „neu zu denken“.

Beobachtung: Im Schnitt ist ein Abgeordneter schon 8 bis 10 Jahre im Amt, bevor die jeweils neue Wahlperiode beginnt. Eine Verbleibedauer von deutlich über 10 Jahren ist nicht unüblich.

Am stärksten ist der Effekt wie erwartet bei der konservativen CSU. Hier kann man durchaus damit rechnen, 3 oder 4 Wahlperioden in Folge im Amt zu sein. Doch auch die SPD, die CDU und die FDP stehen dem nicht in viel nach. Das entspricht der „gefühlten Wahrheit“, dass die alten Parteien personell und damit auch thematisch relativ wenig Dynamik zeigen.

Überraschend war für mich dagegen beim Blick auf die obige Grafik, dass die Kurven der Grünen und der Linken nach ihrem Eintritt in den Bundestag ähnlich steil ansteigen, wie die der alten Parteien in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Heißt für mich: auch die „hippen“ / jungen / angeblich unkonventionellen Gruppen machen es sich nach dem langen Gang durch die Institutionen im gleichen Maße im sicheren und gut bezahlten Hafen des Bundestages bequem wie die Altparteien.

Beobachtung: nach einer Startphase von ca 30 Jahren erreichen alle Parteien (auch die Grünen und die Linken) gleichermaßen einen Zustand, bei dem die Abgeordneten schon bei Beginn einer Wahlperiode im Schnitt bereits 2 bis 3 Wahlperioden im Amt waren

Diese Beobachtung verstärkt (leider) auch das Bild des Berufspolitikers, der nach Ausbildung / Studium eher wenig praktische Berufserfahrung sammelt, um dann einen wesentlichen Teil seiner beruflichen Tätigkeit im Bundestag zu verbringen. In so einem Fall fehlen rein biographisch schon die Erfahrung und die Perspektiven eines „Arbeiters“, der schon vielfältige Lebens- und Berufserfahrung in der freien Wirtschaft gesammelt und sich (zumindest sprichwörtlich) „die Hände schmutzig gemacht“ hat – sei es am Fließband oder als Softwareentwickler.

Ob dem wirklich so ist, werde ich in den nächsten Teilen meines Blogs noch viel detaillierter nachgehen, in denen ich generelle Attribute wie Alter, Beruf, Familienstand, religiöse Zugehörigkeit und vor allem auch die beruflichen Karrieren der Abgeordneten weiter untersuchen möchte.

Momentan plane ich die Veröffentlichung eines Artikels pro Woche bis zur Bundestagswahl.