Neben der Religion dürfte die Familienzugehörigkeit einer der entscheidendsten Faktoren für die Prägung der eigenen Weltsicht darstellen. Eine alleinerziehende Mutter von 3 Kindern wird den Alltag in der Bundesrepublik anders wahrnehmen und daraus andere Handlungsnotwendigkeiten ableiten als eine ledige und kinderlose Frau gleichen Alters.

Detailfrage 7: Aus welchen Familienkonstellationen stammen unsere Repräsentanten im Bundestag?

Bezüglich des Familienstandes ergibt sich ein ähnlich konservatives Bild wie schon bezüglich der Konfessionen: der allergrößte Teil der Abgeordnete gibt an, verheiratet mit 1 bis 4 Kindern zu sein. Ledige sind zahlenmäßig deutlich in der Unterzahl und andere Konstellationen (verwitwet, geschieden, alleinstehend mit Kinder, eingetragene Lebenspartnerschaften…) spielen statistisch gesehen faktisch gar keine Rolle:

Dieses Bild ist ähnlich eintönig und undivers, wie das der Religionszugehörigkeit und spiegelt kaum die Gesamtheit der Deutschen Bevölkerung wider, der aus immerhin 42% in Single-Haushalten besteht. Ähnlich wie die jungen Bundesbürger oder auch die konfessionslosen dürften sich die alleinstehenden also durch diese Gruppe an Repräsentanten kaum repräsentiert sehen.

Schauen wir uns die Entwicklung über die Zeit an: gab es denn im Laufe der letzten Jahre hier eine zunehmende Diversifizierung?

Bei der Standardfamilienform „Verheiratet + 1 bis 3 Kinder“ zeigt sich ein deutlicher Trend hin zu „Verheiratet + 2 Kinder“. Alle anderen Varianten nehmen mit der Zeit ab:

Gerade der Anteil der kinderreichen Familienmütter und -Väter nimmt erwartungsgemäß kontinuierlich ab:

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An dieser Stelle scheint sich endgültig das klassische (aber nicht unbedingt für die Bevölkerung repräsentative) Familienbild „verheiratet + 2 Kinder“ zu manifestieren.

Betrachtet man aber den Anteil der selteneren Familienformen (geschieden, verwitwet, alleinstehend) ergibt sich dann doch ein anderes Bild:

Gerade der Anteil der ledigen Abgeordneten ist in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen. Dennoch ist der Anteil im Bundestag mit 15% weit unter dem in der Deutschen Gesamtbevölkerung, wo immerhin 42% in Single-Haushalten lebt. Und auch der Anteil der Geschiedenen steigt. Dennoch ist der im Bundestag vertretene Anteil Geschiedener fast schon lächerlich gering, bedankt man, dass die Scheidungsquote in Deutschland aktuell ca 36% beträgt.

Unter „sonstige“ verbergen sich alle weiteren Kombinationen wie „verwitert“ / „geschieden“ / „Lebensgemeinschaft“ plus jeweils X Kinder. (Anmerkung: Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden bei diesem Plot wie auch bei den anderen nur die ca 10 häufigsten Werte berücksichtigt und der Rest unter dem einen Begriff „sonstiges“ subsumiert). Dieser Anteil nimmt zu, aber (ähnlich dem der Konfessionslosen) offensichtlich noch auf einem sehr niedrigen und nicht der Verteilung in der Bevölkerung entsprechenden Niveau.

Beobachtung: Der typische Bundestagsabgeordnete ist verheiratet und hat 1 bis 3 Kinder. Andere Familienformen wie „single“, „geschieden“, „verwitwert“, „in einer Lebensgemeinschaft lebend“ spielen hier kaum eine Rolle, auch wenn sie für den Großteil der Bundesbürger längst Normalität geworden sind.

Fassen wir zusammen:

  1. Bundestagsabgeordnete sind überwiegend männlich, mit einer Tendenz zur Diversifizierung bezüglich des Geschlechts.
  2. Bundestagsabgeordnete sind überwiegend zwischen 40 und 60, mit einer Tendenz zur Homogenisierung bezüglich des Alters.
  3. Bundestagsabgeordnete sind ganz überwiegend christlich. Die Anzahl der konfessionslosen steigt tendenziell, es befinden sich aber immer noch 7 Mal so viele Christen im Bundestag wie Konfessionslose (während in der deutschen Bevölkerung beide Gruppen in etwa gleich groß sind). Muslime und andere Religionen spielen im Bundestag zahlenmäßig faktisch keine Rolle.
  4. Bundestagsabgeordnete kommen aus „heilen Familien“. Sie sind verheiratet und haben 2 Kinder. Tendenziell nimmt auch hier der Anteil der „Minderheiten“ (geschieden, Single) zu, aber: während in der Grundgesamtheit der BRD der Single-Haushalt die am häufigsten zu findende Haushaltsart ist, liegt der Anteil der Bundestagsabgeordneten in dieser Konstellation nur bei etwa 10 Prozent

Bisher sieht also alles danach aus, als wäre unsere „gefühlte“ Anfangsvermutung korrekt: der Bundestag repräsentiert zumindest nach seiner Zusammensetzung nur den sehr kleinen Teil der männlichen, christlichen, älteren Familienväter aus ungeschiedenen Ehen. In den einigen Dimensionen (Religion, Familienstand) gibt es eine Tendenz zur Diversifizierung, die aber immer *deutlich* hinter dem in der Gesamtbevölkerung hinterher hinkt.

Im nächsten (und vorerst letzten) Teil des Blogs werden wir uns der Verteilung der Berufe der Abgeordneten widmen; stimmt auch hier die „gefühlte Wahrheit“ („Bundestagsabgeordnete sind alle im früheren Leben Anzug-Tragende Büroarbeiter gewesen“) oder ist hier die Vielfalt der Gesellschaft mit all den künstlerischen, handwerklichen und nicht-akademischen Berufen besser vertreten?